Zu Beginn des 19. Jahrhunderts finden sich Freundschaftsalben immer mehr in Frauenhand. Die Ausstattung und Form hat sich entsprechend angepasst. Wie in einem Schmuckkästchen wurden die kleinen oft mit Kupfern verzierten Blättchen, die von Freundinnen beschrieben und manchmal mit außergewöhnlichen Gebinden aus einer Haarlocke oder mit einer Stickerei dekoriert wurden, aufbewahrt.

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Chromolithographisches Titelblatt des Poesiealbums der Hamburgerin Marie Schmidt (1889-1892; SUB NL Graak 75)

Bei jungen Männern, die sich die Alben meist zum Ende ihrer Schulzeit oder zu Beginn des Studiums anlegten, war das Stammbuch dagegen zur Mitte des 19. Jahrhunderts völlig aus der Mode gekommen. Die Sitte war allmählich auf Kinder unterer Schulklassen übergegangen. Um 1850 erscheint auf den Buchdeckeln die Bezeichnung Poesie, die sich als Teil der neuen Gattungsbezeichnung „Poesiealbum“ durchsetzte.

Das Poesiealbum schließlich wurde wieder in größerem Hochformat geführt. Man brauchte nicht mehr die für Reisen günstige Taschen-buchform. Von jetzt an wurden die Einträge vor Ort im engsten Familien- und Freundeskreis gesammelt. Es ging nicht mehr darum, sich an Studienkollegen zu erinnern oder sich mit Einträgen großer Gelehrter und anderer Persönlichkeiten seiner Zeit zu brüsten.

Poesiealben in Kinderhand erlebten eine ungeheure Verbreitung, so dass um 1900 dieser Brauch in allen Schichten der Bevölkerung bekannt war und bis in die 1980er Jahre geübt wurde. Die Kinder erbaten von ihren Verwandten und Freunden einen „lieben“ Spruch und eine Verzierung, nach Etablierung der Fotografie auch um ein Porträtfoto (später Passbild). Als Dekor waren gestanzte Glanzbilder, sog. Oblaten, die wie Briefmarken bogenweise verkauft wurden, sehr beliebt.

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Die Hamburgerin Ottilie Claudius fügte 1889 zum Beispiel ihrem Spruch für Marie Schmidt „So wie die Rosen blühen/ So blühe stets dein Glück,/ Und wenn du Rosen siehst/ So denk an mich zurück“ diese Oblate hinzu (SUB, NL Graak 75).

Die Kommerzialisierung hat auch vor dieser Sitte nicht halt gemacht. Freunde-bücher für den Kindergarten oder zum Schulanfang gibt es seit den 1990er Jahren in vielfältiger Ausstattung und mit beliebten Figuren aus der Animationswelt. Die Kinder füllen eine Art Fragenkatalog zu ihrer Person und ihren Interessen aus. Ein Passbild, Sticker und manchmal auch noch ein selbst gemaltes Bild runden den Eintrag ab.

Jugendliche und Erwachsene sind dagegen eher digital in den Social Media unterwegs, erhalten Freundschaftsanfragen auf Facebook oder freuen sich über zahlreiche Follower bei Twitter, Instagram u.a. Die Vernetzung mit Persönlichkeiten der Öffentlichkeit oder einer bestimmten Interessens- oder Berufsgruppe als eine Art Referenz für den eigenen Status ist allerdings vergleichbar mit der Stammbuchpraxis.