Verdächtige Ankäufe in den besetzten Niederlanden: Vier Atlanten
Im Dezember 1943 weist Dr. Schellenberg von der Hamburger Kunsthalle die durch Bombenangriffe stark zerstörte Bibliothek der Hansestadt auf eine besondere Gelegenheit hin: In Holland stehe ein Blaeu‘scher Atlas zum Verkauf, vermittelt durch den Leiter der Deutschen Oberschule Den Haag, Walter Söchting. Der aus Hamburg stammende Lehrer und NSDAP-Funktionär ist ein gut vernetzter Propagandist im Besatzungsregime der Niederlande. Schnell wird man sich mit ihm einig: Anfang 1944 erwirbt die Bibliothek gleich vier kostbaren Atlanten aus dem 17. und 18. Jahrhundert zu Preisen zwischen umgerechnet 650 und 13.000 RM. Das Geld kommt von der Reichstauschstelle, die kriegszerstörte Bibliotheken beim Wiederaufbau ihrer Bestände unterstützt.
Der Ankauf über Söchting ist außergewöhnlich und wirft viele Fragen auf. Woher sind die Atlanten gekommen, wem haben sie vorher gehört? Was bedeuten die weit auseinanderliegenden Preise? Gibt es einen Zusammenhang mit beschlagnahmten Büchern aus jüdischen Haushalten und Antiquariaten, die seit 1941 auch an deutsche Oberschulen in den Niederlanden weiterverteilt worden sind? Bis zum Abschluss des Projekts konnte dieser Verdacht weder bestätigt noch widerlegt werden.
Die Atlanten tragen Stempel und Einträge, die darauf hinweisen, dass die Bände zeitweilig in Deutschland beheimatet waren. Aber weite Teile der Provenienzkette sind weiterhin unklar. Auch eine Recherchereise in die Niederlande im Jahr 2024 konnte hier kein Licht ins Dunkel bringen.