Bibliothek der Hansestadt Hamburg, Großer Lesesaal

Die Käuferin: Staats- und Universitätsbibliothek zu Hamburg
(1938-1945 Bibliothek der Hansestadt Hamburg)

Die größte wissenschaftliche Bibliothek Hamburgs geht zurück auf die 1479 gegründete Ratsbibliothek, ab 1751 „Öffentliche Stadtbibliothek“. Von 1840 bis zur Kriegszerstörung des Gebäudes 1943 ist sie am Speersort untergebracht. Ab 1933 setzt das Haus die politischen Vorgaben des NS-Regimes weitgehend widerspruchslos um und präsentiert sich mit Ausstellungen als linientreu. Bibliotheksdirektor ist von 1918 bis 1942 Gustav Wahl, ab 1943 der Leiter des Staatsarchivs Heinrich Reincke. Zwischen 1933 und 1945 verzeichnet die Bibliothek Zehntausende Bücher aus beschlagnahmtem Eigentum von NS-Verfolgten als reguläre Zugänge. Zugleich profitiert das Haus von günstigen Gelegenheiten im Handel.

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Verkäufer: Buch- und Kunsthandlung Andrée, Prag, gegründet 1824

Bis 1938 hat die Andrée’sche Buchhandlung in Prag mehrere Geschäftsführer, zum Teil jüdischer Herkunft. Unter der NS-Herrschaft in der besetzten Tschechoslowakei werden sie ab 1939 zum Rückzug aus der Handlung gezwungen. Der deutsche Verlag Volk und Reich übernimmt das Geschäft und handelt u.a. mit Kunstwerken, die zuvor von der Gestapo konfisziert worden sind. Vermutlich gehen auch angebotene Bücher auf NS-Raubgut zurück. Im Juni 1941 kauft die Hamburger Bibliothek bei Andrée ein großes Konvolut wertvoller katholischer Streitschriften aus der Zeit der Reformation, später noch gelegentlich einzelne Bücher.

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Verkäufer: Antiquariat F. B. Auffarth, Frankfurt am Main

Die Buchhandlung Auffarth ist von 1933 bis 1945 einer der wichtigsten Lieferanten der Bibliothek für antiquarische Bücher, jedes Jahr werden Hunderte Bücher aus dieser Quelle erworben. 1935 übernimmt Auffahrt das traditionelle Frankfurter Antiquariat und Auktionshaus Joseph Baer, dessen Eigentümer als Juden verfolgt und in die Emigration getrieben werden. In unserem Zugangsbuch finden sich kurz nach dieser „Arisierung“ insgesamt 45 Zugänge, deren Einlieferer gesondert als „Auffarth Abt. Baer“ benannt wird. Inwieweit Auffarth in den Jahren danach in den Handel mit NS-Raubgut eingebunden ist, konnte bisher nicht eindeutig ermittelt werden.

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Verkäufer: Ernst Bollmeier, Hamburg

Ernst Bollmeier (geb. 1888) ist ein privater Händler, von dem die Bibliothek zwischen 1940 und 1945 rund 90 antiquarische Bücher erwirbt. Regelmäßig bietet er der Bibliothek unaufgefordert unterschiedlichste Werke an. Bollmeier ist bis in die 1930er Jahre Beamter der Hamburger Finanzverwaltung, Mitglied des Vereins für Hamburgische Geschichte und verschiedener bibliophiler Vereinigungen. Im Oktober 1936 wird er in einem Verfahren nach §175 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Verkäufe an die Bibliothek beginnen Anfang 1940, d. h. kurz nach seiner Entlassung aus der Haft. Die Herkunft der Bücher bleibt unklar, doch bei einigen Stücken besteht ein Anfangsverdacht auf NS-Raubgut.

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Verkäufer: Antiquariat Dörling, Hamburg, gegründet 1797

Ab 1862 von der Familie Dörling geführt, wird die traditionsreiche Handlung 1930 vom Buchhändler Max Bähr übernommen. Bähr ist Mitglied der NSDAP. 1936 beschwert er sich beim Börsenverein über seinen Konkurrenten Hauswedell, der mit einer Jüdin verheiratet sei und bei dem man „nichts von Bejahung unseres heutigen Staates“ merken könne. Das Antiquariat Dörling ist eng eingebunden in die Verwertung von NS-Raubgut. Die Firma kauft wiederholt Bücher auf Hamburger Auktionen, bei denen das Gut von Deportierten und Ausgewanderten versteigert wird. Für die Bibliothek ist Dörling zwischen 1933 und 1945 ein zentraler Einlieferer, Hunderte von Büchern werden hier eingekauft.

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Verkäufer: Ernst L. Hauswedell, Hamburg

Das Auktionshaus und Antiquariat von Dr. Ernst Hauswedell ist ein Hauptlieferant der Bibliothek. Im NS-Regime hat Hauswedell wegen seiner politischen Haltung und seiner als „Halbjüdin“ verfolgten Ehefrau zunächst Schwierigkeiten. Im Juni 1937 wird die Ehe geschieden. Hauswedell versteigert häufig Objekte aus Sammlungen von NS-Verfolgten, zum Teil als Versuch der Unterstützung von Bekannten. Recherchen lassen auf einen deutschlandweiten intensiven Handel mit NS-Raubgut schließen. 1939 kauft die Hamburger Bibliothek bei Hauswedell u.a. Bücher aus einem Zwangsverkauf des NS-Verfolgten Hans Sternheim, die 2019 an seine Erbin restituiert werden.

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Verkäufer: Karl Ernst Henrici, Berlin

Karl Ernst Henrici (1879-1944) ist ein Kunst- und Buchhändler, der bis etwa 1930 ein erfolgreiches Auktionshaus in Berlin führt. Er handelt u.a. mit Autographen, von denen später durch einen spektakulären Gerichtsprozess bekannt wird, dass der Privatgelehrte Karl Hauck sie in verschiedenen Bibliotheken und Archiven gestohlen hat. Nach seinem Konkurs um 1930 ist er als Agent und Aufkäufer vor allem von Autographen tätig. In den 1940er Jahren beliefert er u.a. den „Sonderauftrag Linz“, der Kunst für ein geplantes „Führermuseum“ erwirbt. Er handelt wiederholt mit NS-Raubgut. Die Bibliothek kauft bei ihm 1937/38 eine Reihe von Autographen ungeklärter Herkunft.

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Verkäufer: Karl W. Hiersemann, Leipzig, gegründet 1884

Anton Hiersemann ist als Verleger und Buchhändler eine wichtige Figur in der Buchhandelswelt der 1930er und 1940er Jahre. Aufgrund seiner guten Kontakte ins Ausland und seiner starken Position im Börsenverein wird er in der NS-Zeit von der Reichsschrifttumskammer protegiert. 1940 tritt er in die NSDAP ein. Mit seiner Antiquariatsbuchhandlung spielt Hiersemann u.a. eine wichtige Rolle als regelmäßiger Lieferant für den „Sonderauftrag Linz“ und ist eng in die „Verwertung“ von Buchbeständen aus besetzten Ländern eingebunden. Bis 1941 gehört er zu den wichtigsten Lieferanten antiquarischer Bücher der Bibliothek. Ab 1943 sind keine Verkäufe mehr dokumentiert.

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Verkäufer: Hellmut Meyer & Ernst, Berlin

Die Autographenhandlung Meyer & Ernst veranstaltet zwischen 1930 und 1937 insgesamt 21 Auktionen mit Büchern, Autographen und Graphik, teils zusammen mit J. A. Stargardt in Berlin. Danach veröffentlicht die Firma nur noch undatierte Lagerkataloge, ohne jede Angabe zu Einlieferern. Heute ist bekannt, das Meyer & Ernst mit NS-Raubgut gehandelt hat, allerdings gestalten sich die Recherchen nach den Quellen für die Angebote schwierig. Die Hamburger Bibliothek kauft bei der Handlung zwischen 1937 und 1943 regelmäßig größere Mengen an Autographen, darunter 1942 einen Teilnachlass des kaiserlichen Diplomaten und Kolonialbeamten Paul Kayser, dessen Herkunft Fragen aufwirft.

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Verkäufer: Martinus Nijhoff, Den Haag, gegründet 1853

Die international ausgerichtete Buchhandlung Nijhoff in Den Haag ist eines der führenden Antiquariate der Niederlande, seit 1928 geleitet von Wouter Nijhoff. 1939 übernimmt sie den Bestand des Berliner Antiquars und NS-Verfolgten Paul Gottschalk, der aus Holland weiter in die USA flieht. Nach der Besetzung der Niederlande 1940 wird Nijhoff zu einem wichtigen Lieferanten für deutsche Bibliotheken und zu einer Drehscheibe für NS-Raubgut. Die deutschen Besatzer nehmen Wouter Nijhoff im März 1944 wegen illegaler Aktivitäten fest und verschleppen ihn zunächst in ein Lager in Amersfoort und später nach Deutschland. Die SUB kauft zwischen 1941 und 1944 über 600 antiquarische Bücher bei Nijhoff.

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Verkäufer: J. A. Stargardt, Berlin, gegründet 1830

Seit 1885 gehört die Firma der Familie Mecklenburg, 1925 wird Günther Mecklenburg Inhaber. Zunächst auf Bücher und Musikalien spezialisiert, verlegt das Geschäft sich immer mehr auf den Autographenhandel. Nach der „Arisierung“ des Antiquariats Liepmannssohn übernimmt Stargardt 1935 einen Teil von dessen Warenlager. 1937/38 versteigert die Firma Autographen aus dem Besitz des als Juden verfolgten Berliner Antiquars David Salomon. Viele Angebote gehen auf Zwangsverkäufe von NS-Verfolgten zurück. Die Hamburger Bibliothek kauft hier die großen Autographen-Sammlungen von Heinrich Spiero (1937) und Meier Spanier (1941) sowie viele weitere einzelne Autographen und kleinere Konvolute.