Zugangswege
„Von der Polizei beschlagnahmt u. der Bibliothek am 2. Nov. 1933 überwiesen.“ So zu lesen in den Akten der Stabi, als im November 1933 die ersten vier beschlagnahmten Bücher in den Bestand der SUB aufgenommen wurden.
Wie alle großen wissenschaftlichen Bibliotheken im Deutschen Reich profitierte auch die SUB Hamburg von den Verfolgungs- und Entrechtungsmaßnahmen, mit denen vor allem Polizei- und Finanzapparat die materielle und finanzielle Ausplünderung der vom NS-Regime verfolgten Gruppen betrieben.
Waren zunächst in erster Linie politisch verfolgte Einzelpersonen und Gruppierungen von der Enteignung der Bücher betroffen, kamen nach den Novemberpogromen 1938 die Bücher vieler jüdischer Emigranten hinzu. Im Zugangsbuch 1940 tauchen erstmals größere Mengen Bücher auf, die als Eingänge von der Gestapo in den Bestand übernommen wurden. Sie gehörten jenen Emigranten, die seit 1938 vermehrt das Land verließen, um ihr Leben zu retten. Ihr Umzugsgut blieb in vielen Fällen zurück, wurde von der Gestapo beschlagnahmt und von der Oberfinanzdirektion „für das Reich verwertet“. Das hieß: die persönliche Habe wurde beschlagnahmt und in öffentlichen Versteigerungen an Hamburger Bürger verkauft. Die Einnahmen aus den Auktionen flossen der Staatskasse zu. Häufig gab die Gestapo bereits vor den Auktionen Bücher direkt an die SUB Hamburg ab. Viele dieser „Geschenke“ waren nicht für den freien antiquarischen Verkauf zugelassen, da sie zur sogenannten verbotenen und unerwünschten Literatur gehörten.
Der Beginn der Deportationen der Hamburger Juden 1941 lässt sich in den Zugangsbüchern der SUB ablesen – die „Geschenke“ häuften sich. Seitenweise findet sich in den Zugangsbüchern als Lieferant die Gestapo.
Eine Zeitzeugin erinnert sich: „Eine zweite Praktikantin und ich (wir hatten gerade erst mit unserem Dienst angefangen) bekamen über Prof. Wahl bzw. den Bibliotheksamtmann Herrn Viebek den Auftrag, Mengen von Büchern, die in einem großen Raum [...] völlig ungeordnet auf Tischen und auf d. Boden lagen, zu sichten und zu ordnen. Es kamen Lastwagen an, aus denen diese Ladungen in Wäschekörben hereingetragen wurden von SA- oder SS-Männern (?) und ausgeschüttet wurden. Es war ein schlimmes Durcheinander und ich sah eigentlich nur noch diese Schaftstiefel dazwischen herumtrampeln, die immer wieder neue Ladungen brachten. Wir mussten zuerst einmal nach der Größe ordnen und dann versuchen, die mehrbändigen Ausgaben zusammenzustellen.“
Die genaue Zahl der Bücher, die auf diese Weise in den Bestand der Stabi Hamburg kamen, bleibt unklar, da nur anfangs alle Zugänge in den Journalen verzeichnet wurden. Später lagerten diese Bände auf dem Dachboden und wurden teilweise erst lange nach Kriegsende eingearbeitet.
Die Bibliothek verließ sich aber nicht nur auf die guten Kontakte zu den örtlichen Behörden und deren „Zuwendungen“, sondern war auch selber aktiv auf der Suche nach beschlagnahmten Bibliotheken und Büchern.
Eine weitere Möglichkeit, günstig an Literatur heranzukommen, wurde vor allem nach der Zerstörung der Bibliothek bei der Operation Gomorrha 1943 reichlich genutzt: die Reichstauschstelle in Berlin. Dort erwarb man u.a. beschlagnahmte Literatur aus allen Teilen des Reiches und den besetzten Gebieten. Aber auch zahlreiche Privatbibliotheken wurden angekauft sowie laut Bibliotheksakten 30.000 Bücher aus jüdischem Eigentum übernommen. Dies bedeutet, dass 1943/1944 bis zu einem Viertel des ‚neubeschafften‘ Bibliotheksbestandes aus NS-Raubgut bestand.