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Paul Mendel Exlibris

Erinnerungen des Großneffen Ulrich Bauche

„In meiner Kindheit begegnete ich Anna und Paul anfänglich nur auf den Geburtstagsfeiern meines Großvaters Max Mendel, der [...] 1925 bis 1929 Mitglied des Hamburger Senats gewesen war. Paul Michael war sein jüngerer Bruder, ein bis 1934 erfolgreicher Bankdirektor. [...]  Im Unterschied zu meinem lebhaften [...] Großvater erschien mir mein Onkel Paul, wie er in der Familie immer genannt wurde, als gesetzter, bedächtiger alter Mann, wozu auch seine füllige Figur beitrug. Neben ihm wirkte seine elegante Frau Anna zierlich. Das alte, sehr einander zugetane Ehepaar blieb kinderlos.

Mein Kontakt zu ihnen wurde seit 1938 enger. Damals fand mein Vater, entlassen nach fast drei Jahren Zuchthausstrafe wegen angeblicher Vorbereitung zum Hochverrat und belegt mit einem totalen Berufsverbot als bildender Künstler und Kunsterzieher, im Onkel meiner Mutter einen kompetenten Gesprächspartner über die so faszinierende Hamburger Kunstszene der Weimarer Zeit. [...] Mein Vater hatte 1919 bis 1924 an der Hamburger Landeskunstschule [...] studiert und war dabei Leiter des Studentenrates und aktives Mitglied im Ausschuss der Hamburger Künstlerfeste bis 1926 gewesen.

Paul Mendel hatte in seiner großen Etagenwohnung Werke der bildenden Kunst gesammelt, die man heute als Klassische Moderne bezeichnet. Besonders als Förderer von Hamburger Künstlern in der Notzeit nach 1918 war er bekannt geworden. So besaß er eine Reihe starkfarbiger Gemälde von Otto Rodewald. Sie erstaunten mich durch die bizarre Zerstückelung ihrer dargestellten Figuren und Gegenstände. [...]

Von den Werken der Sammlung beeindruckte mich am stärksten das großformatige Gemälde von Paula Modersohn-Becker, das frontal eine bäuerliche [...] Mutter mit ihrem Kind auf dem Arm darstellte. Ich kann nicht sagen, dass mir das Bild gefiel, ich es schön fand. Die mir grob erscheinende Darstellung und die erdigen Farben wurden mir als Eigentümlichkeit der Worpsweder Moorlandschaft und ihrer Menschen erklärt. Gefallen fand ich dagegen an den Bronzefiguren von Renée Sintenis. Besonders mochte ich ein etwa kopfgroßes Pferdefohlen, das durch die Körperform und die Oberflächengestaltung wie in anmutiger Bewegung erschien. Mir gefielen auch die von Tante Anna gemalten Stillleben.

Ebenso wie mein Vater, der ein passionierter Sammler deutscher Literatur war, besaß das Ehepaar Anna und Paul Mendel eine [...] große Bibliothek. Offenbar bildete Literatur auch häufigeren Gesprächsstoff meiner Eltern und Anna und Paul.

Meine Aufmerksamkeit aber schenkte ich der großen Briefmarkensammlung, die mir bei unseren zahlreichen Besuchen von Onkel Paul in einzelnen Alben vorgeführt wurde. Briefmarken zu sammeln und in selbst gestalteten Albenblättern zu präsen-tieren, war damals mein Haupthobby, und ich konnte ihm von der Jugendgruppe im Hamburg-Altonaer Verein für Briefmarkenkunde berichten, in der ich trotz meines Stigmas als so genannter Halbjude willkommen aufgenommen wurde

Ich erinnere mich dankbar auch an einfühlsam ausgesuchte Geschenke [...] , darunter eine damalige Neuigkeit, Miniatur-Backsteine, die mit Wasser löslichem Mörtel zu Mauerverbänden wie in der Wirklichkeit aufgebaut werden konnten.

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Loogestieg 10, der letzte Wohnsitz des Ehepaar Mendel. Hier liegen die Stolpersteine für die Beiden.

Foto: SUB HH

Die [...] mehrfachen Wohnungswechsel deuteten mir den Verlust der ehemaligen Wohlhabenheit von Anna und Paul an. Ich erfuhr schließlich mit Schrecken, dass sie ebenso wie mein Großvater und seine engsten Familienangehörigen im selben Transport nach Theresienstadt deportiert wurden. Noch vor Ende des Krieges erhielt meine Mutter eine mündliche Nachricht, dass Tante Anna Ende 1943 eine Postkarte an eine nichtjüdische Verwandte senden konnte.“

Die beiden Bücher mit Widmungen für Anna Mendel sowie das Buch mit dem Exlibris von Paul Mendel wurden der SUB Hamburg großzügig zum Geschenk gemacht. Sie enthalten nun einen Einleger mit den Lebensläufen des Ehepaars und erinnern so an deren Schicksal.

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