Schon 1935 wurde als Vorsorge gegen Bombenangriffe „im Falle eines Angriffskrieges gegen Deutschland“ ein (Reichs-) Luftschutzgesetz erlassen - sowie kurz vor Kriegsbeginn eine Dienstvorschrift für den „Luftschutz in Museen, Büchereien, Archiven...“. Nach dem englischen Luftangriff auf Lübeck (März 1942) erschienen schließlich die „Richtlinien zur Durchführung des Luftschutzes in Bibliotheken“ (28.8.1942). Sie sahen die Auslagerung von Bibliotheksbeständen „in mehrere, von der Heimatbibliothek weit abgelegene Bergungsorte in weniger luftgefährdeten“ Regionen vor: „Geeignet sind abseits gelegene Schlösser, Klöster und dgl.“

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Beispiel für die während des Krieges in Hamburg errichteten Luftschutztürme

Die „Bibliothek der Hansestadt Hamburg“ befolgte diese Vorschriften sorgfältig. Schon 2 Wochen nach Kriegsbeginn wurden kleinere Bestände in „bombensichere Räume“ in der Stadt (Reichsbank; Tresor der Finanzbehörde am Gänsemarkt; Turmgewölbe unter der Michaeliskirche; Kellertresor im Rathaus Harburg) eingelagert. Im Herbst 1942 wurden größere Mengen ausgelagert: 140 große Kisten in die Luftschutztürme am Bahnhof Hasselbrook und bei den Vorsetzen; darin eine Auswahl aus allen Handschriftengruppen der Bibliothek sowie wertvollste alte Druckwerke  -  Bibeln, Wiegendrucke, niederdeutsche Drucke und Hamburgensien.

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Schloss Lauenstein (Erzgebirge, Kreis Dippoldiswalde)

Danach wurde der größte und wertvollste Einzeltransport vorbereitet:
die Auslagerung von 287 Kisten in das Schloss Lauenstein im Erzgebirge (April 1943). Diese Kisten enthielten u.a. 5.300 Handschriften, davon 1.300 Musik-Handschriften, ca. 6.000 Autographen, 20 Nachlässe und etwa 5.300 Druckwerke (950 Inkunabeln, 3.500 Reformationsdrucke und 1.300 Bände wertvollster Drucke des 16.-18. Jhs.).

Die gesamte Auslagerung Lauenstein ist 1946 von der sowjetischen Militäradministration requiriert und als Beutegut nach Leningrad verbracht worden; von dort aus wurden die Hamburger Bestände (ebenso wie zahllose andere Beutegutbestände) auf sowjetische Bibliotheken und Archive in Leningrad, Moskau und in der Provinz (bis nach Tomsk, Tiflis und Jerewan) verteilt.

Jüdisches Eigentum: Nach Lauenstein kamen auch vier Kisten mit einer Autographensammlung aus jüdischem Eigentum, die 1942 in den Besitz der Bibliothek gelangt war. - Im Sommer 1943 übergab die Gestapo in Berlin einem Bibliotheksvertreter die Bibliothek der Jüdischen Gemeinde Hamburgs; in 99 Kisten verpackt, wurde sie direkt in die beiden anderen ostdeutschen Auslagerungsorte der Bibliothek gebracht, das Rittergut Weissig (in der Oberlausitz) und das Schloss Hermsdorf (bei Dresden) - genau in der Woche, in der das Bibliotheksgebäude in Hamburg ausgebombt wurde.

Alles, was nach dem 24./25. Juli 1943 aus den Trümmern gerettet worden war, brachte man zunächst in den Hamburger Bunkern unter, v.a. in der Eiffestraße und im Flakturm auf dem Heiligengeistfeld. Bald aber brauchte man diese Bunker für die Zivilbevölkerung, und so wurde ein Teil dieser Bestände ebenfalls in die Herrensitze in Weissig und Hermsdorf gebracht (April 1944). Der größere Teil der noch in Hamburg befindlichen Auslagerungen wurde schließlich in 336 Kisten in das Salzbergwerk Grasleben bei Helmstedt (ab August 1944 bis Februar 1945) gebracht. Insgesamt sind in den Kriegsjahren mehr als 920 große Kisten abtransportiert worden, davon 350 zunächst in zehn Hamburger Lokalitäten.

Vorbereitung und Durchführung dieser Auslagerungen sind mühevoll gewesen. Die Auswahl tausender Stücke (in einer völlig überfüllten, oft in mehreren Buchreihen aufgestellten Bibliothek bei laufendem Betrieb und häufigem Fliegeralarm), ihre präzise Verzeichnung und Verpackung in großen Kisten, die schwer zu beschaffen waren, schließlich ihr Abtransport zu den verschiedenen Auslagerungsplätzen, spätere Verschiebungen und schließlich die Bewachung der ausgelagerten Bestände - dies alles erfolgte in einer kriegsbedingt höchst unruhigen Zeit und bei reduziertem Personal.